Die Sinnhaftigkeit von Dialog im Unternehmen – ein Praxisbericht

Vor ein paar Monaten wurde ich gebeten, eine Gruppe von Eigentümern/Managern bei ihrem Dialog zu begleiten. Da es noch ziemlich einzigartig ist, dass so eine gezielte Dialoganfrage auf Managementebene gestellt wird, möchte ich hier gerne, ohne weitere Reflektion, kurz über diese Erfahrung berichten.

Ein Managementteam von elf Eigentümern einer großen Beratungsfirma in den Niederlanden, hatte folgendes Dilemma: Nachdem sie über 30 Jahre lang ihr inhaltliches Konzept und die organisatorische Struktur entwickelt hatten, was zu großem Erfolg, einer bekannten Marke und ständigem Wachstum geführt hatte, war nun die Zeit für eine grundlegende Veränderung gekommen.

Das meinten vor allem die jüngeren Mitglieder, die sich um die abnehmenden Anfragen und die zunehmende Konkurrenz auf dem Markt sorgten. Man war sich im Team grundsätzlich einig, dass etwas passieren sollte, aber über die genaue Richtung, den Prozess dorthin und den Zeitplan gab es große Auseinandersetzungen.

Die genaue Auftragsklärung

Gemeinsam war schon beschlossen, einen Visionsprozess durch einen externen Berater begleiten zu lassen, jedoch wurden die Unterschiede in Sichtweisen und Bedürfnissen klarer und schärfer, je näher der Anfang dieses Prozesses rückte. Es entstand ein interner Konflikt über die Frage, welchen Ausgangspunkt dieser Visionsprozess bekommen sollte.

Zunehmende Spannung war die Folge und die Gruppe entschloss sich im Vorfeld, diesem Konfliktpotential einen eigenen Dialog zu widmen. Die Absicht war, Unterschiede sichtbar zu machen, einander zuzuhören und Spannungen offen aussprechen zu können.

In der ersten Eincheck‐ Runde, in der alle ihre Erwartungen und Hoffnungen mitteilten, wurde klar, wie oft dieses Team schon über die bevorstehende Veränderung gesprochen hatte. Sie hatten Gedanken gesammelt, diskutiert, Modelle und Diagramme entwickelt. Mit unterschiedlichen Methoden, manchmal mit und manchmal ohne externe Moderation, versuchten sie, dem Wesentlichen der Veränderung auf die Spur zu kommen. Diese Treffen endeten bisher meistens unbefriedigend und ohne Ergebnis und es zeigten sich viele gegenseitige Irritationen. Das Gefühl, nicht an einem Strang zu ziehen, wuchs und einige Mitglieder überlegten sich bereits, die Firma zu verlassen.

Jetzt war das Bedürfnis da, einen offenen Raum zu suchen, worin es möglich werden konnte, unterschiedliche Bilder, Erwartungen und Hoffnungen auszusprechen um eine Bewegung in Richtung Verständnis und gemeinsamen Denken zu ermöglichen. Die Hoffnung war, dass sich dann vielleicht erste Konturen einer gemeinsamen Linie zeigen würden, die bisher noch nicht entdeckt wurden. Oder, so wie eine Person klar sagte, dass auch klar werden würde, ob man miteinander überhaupt weitergehen möchte. In dieser Offenheit beschlossen wir an diesem Tag drei Dialogkreise abzuhalten.

Jeder Teilnehmer hatte die klare Bereitschaft, laut den Prinzipien von offenem Zuhören, offenem Sprechen, Gleichwertigkeit und Respekt miteinander zu arbeiten.

Der erste Kreis

Der erste Kreis von eineinhalb Stunden war ein offener Raum für alle Themen, die im Moment im Vordergrund waren. Das Gespräch war lebendig, die Themen vielfältig, die Atmosphäre offen aber vorsichtig und höflich. Am Ende dieses Kreises reflektierte jeder sein Erleben im Kreis in der Art, dass man erzählen konnte, wie man den Prozess gerade erlebt hatte.

Eine der Teilnehmerinnen, die einzige Frau in der Runde, war unter hohen inneren Druck geraten und erzählte emotional wie verkrampft sie sich in diese Runde gefühlt hatte. Sie hatte sich zurückgehalten, was für sie ein sehr häufiges und bekanntes Gefühl in den letzten Monaten in diesem Team gewesen war. Die anderen waren sehr beeindruckt von ihrem emotionalen Ausdruck und zeigten sich besorgt über diese starken Gefühle.

Der zweite Kreis

Nach einer längeren Pause, fingen wir den zweiten Dialogkreis an. Diesmal lud ich die Gruppe ein, die Zeit zu nützen, einander direkt anzusprechen und damit ein Risiko einzugehen. Um den Raum dafür zu öffnen hatte ich einen leeren Sessel im Kreis dazugestellt mit folgendem Text darauf: „Das was hier nicht ausgesprochen wird“. Wir arbeiteten nach wie vor mit einem Sprechsymbol, das in der Mitte lag und von demjenigen, der sprechen wollte, geholt und nachher wieder zurückgelegt wurde.

Damit war der Raum zum Sprechen für alle gesichert und die Möglichkeit, direkt zu reagieren unterbunden. Dies unterstützt den Prozess von Zuhören und in der Schwebe halten von Urteilen und Bewertungen.

Nachdem die Frau als erste die Einladung angenommen hatte und ihren Kollegen die Wurzel ihrer Gefühle mitteilen konnte, nahmen auch die anderen die Herausforderung an, ihre Gefühle offen auszudrücken.

Es wurde direkt und persönlich gesprochen, Fragen gestellt, Aussagen wurden nuanciert, geklärt und Missverständnisse aus dem Weg geräumt. Obwohl es manchmal recht heftig und konfrontierend war, fühlte es sich auch wie ein frischer Wind an, in einem Raum, der über längere Zeit zu wenig gelüftet worden war. Die Energie war aufgeladen, die Aufmerksamkeit groß, die Zeit schnell vorbei.

Die Pause als wesentlicher Begegnungsraum

Dann folgten das Mittagessen und eine längere Pause für einen gemeinsamen Spaziergang. Während dieser Zeit sprachen die Menschen in unterschiedlichen Kombinationen angeregt miteinander. Es war klar, dass der letzte Kreis viel Stoff zum Besprechen geliefert hatte. Es herrschte eine positive, neugierige und lebendige Atmosphäre.

Der dritte Kreis

Der dritte Kreis begann mit einer gemeinsamen Suche nach einer Kernfrage, die unserer letzten Dialogrunde an diesem Tag einen Fokus geben konnte. Nach einiger Zeit des Suchens, wählte die Gruppe die Frage: „ Was will jeder von uns wirklich hier in diese Firma“?

Es war ein ehrliches gegenseitiges Interesse an den einzelnen individuellen Wünschen und Bedürfnissen entstanden. Wir reichten den Stein als Sprechsymbol einmal im Kreis weiter, so dass sich alle dazu äußern konnten. Danach fand ein Austausch über alle Wünsche und Bilder zur Veränderung statt, der von Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Respekt geprägt war. In diesem Gespräch kamen mehr und mehr Ideen und Möglichkeiten für die einzuschlagen Richtung in den Vordergrund.

Es schien mir wichtig einiges davon aufzuschreiben, um es festzuhalten. Aber als ich das Sprechsymbol in die Hand nahm um diesen Gedanke mitzuteilen, merkte ich sofort, dass die Energie im Gespräch einbrach.

Jemand sagte: „ Bitte nicht, Eelco, weißt Du, wie viel wir schon geschrieben haben? Wir haben tagelang geredet, alles festgelegt, Wände vollgehängt mit Notizen und Flipcharts mit Modellen verfasst. Wir haben moderierte Workshops hinter uns, worin wir uns in unserer Suche nach Strategie verfangen haben. Es ist mir gerade so wichtig nichts festlegen zu müssen, aber sprechen und zuhören zu können, ohne den Druck, dass es ein bestimmtes Ergebnis geben soll. Gerade das ist es, was uns gefehlt hat und worin, glaube ich, jetzt unsere Chance liegt“.

Der Abschluss und darüber hinaus

In der Abschlussrunde wurde dies von allen Mitgliedern bestätigt. Der Wert des offenen Raums für Dialog wurde von jedem als bereichernd, klärend und extrem wichtig für den gemeinsamen weiteren Weg erlebt. Ein paar Wochen später berichtete mein Auftraggeber, der die Initiative zu diesem Dialogprozess in die Hand genommen hatte, dass der Tag viel in Bewegung gebracht hatte.

Es war ein Gefühl von neuer Verbundenheit und gegenseitigem Vertrauen entstanden wie auch der Wunsch und die Kraft, gemeinsam diesen Weg der Veränderung weiter zu gehen. Die Gruppe betrachtete das als ein wichtiges Ergebnis und beschloss, innerhalb der kommenden Monate einen zweiten Dialogtag zu organisieren.

Diese Menschen arbeiten den ganzen Tag mit Veränderungsprozessen bei ihren Kunden. Sie waren alle erfahre Trainer, Coaches und Berater, und kannten viele Methoden, Modelle und Ansätze. Auch der Dialogkreis mit seinen Prinzipien und Arbeitsformen war für alle bekannt, stärker noch, sie setzten diese Form des Dialogs oft selbst bei den eigenen Kunden ein. Mein Gefühl als Dialogprozessbegleiter war am Anfang dann auch, dass ich ihnen nicht viel Neues bieten konnte. Aber das Gegenteil schien hier wahrer zu sein: Sie erlebten es als sehr wichtig, hilfreich und verändernd, unter Begleitung selber in diesem Raum zu verweilen und meinten, dass das gerade „der Unterschied war, der den Unterscheid machte“.

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